Gerhard Wolters:

Visionen eines MultiDimensionalen InstrumentalUnterricht®
oder: Die Musikschulen Österreichs (und Deutschlands) im Jahre 2017
Sehr verehrte Kongressteilnehmerinnen und Kongressteilnehmer!

Ich möchte Sie heute sehr herzlich begrüßen; und zwar begrüße ich Sie im Jahre 2017 und in meiner Funktion als engagierter Beobachter der Entwicklung des österreichischen Musikschulwesens.

An dieser Stelle hätte eigentlich Gerhard Wolters über den "MultiDimensionalen InstrumentalUnterricht
®" referieren sollen; eine kurzfristige Erkrankung machte aber meine Vertretung erforderlich.

Gestatten Sie mir also bitte einen kurzen Rückblick auf die vergangenen 15 Jahre Entwicklung der Musikschulen Österreichs.
15 Jahre, in denen sich viel verändert hat in unseren Musikschulen.
15 Jahre, die eine unglaubliche Dynamik in den Unterricht gebracht haben.
15 Jahre, die den einzelnen Schüler weg vom wöchentlichen Kurzbesuch zu einem Gefühl der Zusammengehörigkeit, einer großen Musikschul-Familie gebracht haben.

Erinnern wir uns noch einmal an den Kongress in Ried im Innkreis im Jahre 2002 (viele von Ihnen haben die Reden von Röbke und Wolters damals ja selbst gehört): Einigen von Ihnen waren damals die 7 Dimensionen des von Wolters so genannten "MultiDimensionalen InstrumentalUnterrichts
®" ja schon bekannt, die da lauteten:
1. Lernen mit (mindestens) zwei UnterrichtsPartnern
2. Lernen in mehreren Räumen
3. Lernen in flexiblen Zeiten
4. Lernen mit mehreren Lehrkräften
5. Lernen mit UnterrichtsPartnern verschiedenen Alters
6. Lernen mit UnterrichtsPartnern verschiedenen Niveaus
7. Lernen verschiedener Instrumente.

Völlig undenkbar, illusorisch - oder bestenfalls "utopisch" - klangen allerdings danach die drei Forderungen, die Wolters seinerzeit aufstellte:

1. Forderung: Jeder Schüler sollte von Anfang an mindestens zwei UnterrichtsEinheiten von minimal 60 Minuten pro Woche erhalten.
2. Forderung: An allen Musikschulen sollte es möglich sein, dass alle Schüler einer Lehrkraft (oder eines Fachbereichs) einen einheitlichen Preis
bezahlen, so dass jede Lehrkraft selbstständig den Unterricht einteilen könne.
3. Forderung: Jede Lehrkraft soll standardmäßig mindestens zwei Unterrichtsräume zur Verfügung haben.

Meine Damen und Herren! Sie erinnern sich sicherlich noch der heftigen und fast tumultartigen Zwischen- und Buh-Rufe, die gerade die letzte Forderung damals gerade bei Verwaltungsleuten auslöste. Es schien undenkbar, solche Dinge im Alltag der Musikschule umzusetzen. Ehrlich gesagt war auch nicht gerade jeder mit allen drei Forderungen Wolters' einverstanden...

Was wurde damals angedacht? Viele der innovativen Entwicklungen, die besonders seit dem Jahr 2010 für großes Aufsehen und beachtliche Erfolge gesorgt haben, wären ohne diese drei Grundforderungen - die ja bekanntlich im vergangenen Jahr in die Novelle des Musikschulgesetzes eingeflossen sind - nicht möglich gewesen: Die Musikschule ist zum Ort der Begegnung geworden.
Unsere Schüler kommen nicht mehr einmal pro Woche - so wie es Röbke seinerzeit im Titel seines Vortrags "Der Nächste bitte" ein wenig provokant formulierte - sondern sie verbringen einen Großteil ihrer Freizeit in der Musikschule.
Alle am System "Musikschule" Beteiligten bringen sich und ihre ganze Persönlichkeit ein: sei es, dass fortgeschrittene Schüler den Jüngeren helfen (und dadurch natürlich selbst viel besser werden); sei es, dass viele Eltern durch die Möglichkeit des Mitlernens intensiver und verständnisvoller in den Gesamtbetrieb eingebunden werden; sei es auch, dass Lehrkräfte miteinander unterrichten - und so voneinander lebenslang lernen (und damit auch viele Kollegien weg von lauter Einzelkämpfern hin zu einer großen Gemeinschaft wurden, die sich gegenseitig ihr gesamtes KnowHow zur Verfügung stellt).

Nun sitzen hier - als unsere Gäste - aber auch viele Vertreter deutscher Musikschulen, die zu Beginn dieses Jahrhunderts die damals notwendigen Umstrukturierungen nicht oder nur äußerst zögerlich umsetzten.
Die große Wirtschaftskrise in Deutschland, die vor 15 Jahren viele Musikschulen existenziell gefährdete, verhinderte dringend notwendige Innovationen, und so hat sich in Deutschland - im Vergleich zu Österreich - an den Musikschulen in den ver-gangenen 15 Jahren fast nichts bewegt.

Ich freue mich daher sehr, dass Sie sich nun hier in Österreich über unseren erfolgreichen Weg der Weiterentwicklung von Musikschulen informieren wollen. Daher möchte ich Ihnen hier die Gelegenheit geben, einen Blick in die heutige Realität österreichischer Musikschulen werfen zu können. Schon jetzt wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei der Einführung eines erweiterten "MultiDimensionalem InstrumentalUnterricht
®" auch an deutschen Musikschulen und kann Ihnen versichern, dass wir Ihnen aufgrund unserer Erfahrungen mit Rat und Tat zur Seite stehen werden.

Zunächst: Die Musikschulen in Österreich haben in den letzten Jahren erkannt, dass es keine Luxus-Forderung war, zwei oder mehr Räume pro Lehrkraft zur Verfügung zu haben, sondern dass dies schlicht und einfach eine Notwendigkeit ist.
Die Allgemein-Pädagogen unter den Politikern haben damals sofort erkannt, dass die ihnen schon längst bekannte Binnendifferenzierung - also das simultane Unterrichten mehrerer Unterrichtsgruppen mit besonderer Förderung des selbstständigen Erarbeitens ohne Lehrkraft - dass diese Binnendifferenzierung gerade für die selbstständige künstlerische Entwicklung eines musikbegeisterten Kindes und jungen Erwachsenen von größter Wichtigkeit ist.

Inzwischen gibt es in Österreich die unterschiedlichsten baulichen Modelle von Musikschulen: mit Parallel-Zimmern, Gemeinschaftsräumen, Übezellen, Computerstudios, Spielzimmern und Hausaufgaben-Ecken. Die Vorschläge, die im guten alten Buch "Wege aus der Eintönigkeit" von Wolters damals gemacht wurden, können wir heute nur müde belächeln - sie sind allenfalls ein amüsanter historischer Exkurs.
Und doch waren sie damals für die meisten Musikschulen undenkbar; gab es doch Lehrkräfte, die sogar zuhause unterrichten mussten, da viele Musikschulen noch nicht einmal jeder Lehrkraft einen Raum zur Verfügung stellen konnten.

Wir erleben nun tagtäglich, wie selbstständig unsere Schüler - durch Zeiten ohne ihren Lehrer im Nebenraum - geworden sind. Gab es anfangs auch eine große Angst vor der Verlust der Autorität des Lehrers, so ist die partnerschaftliche Mitsprache der Schüler im Unterricht eine wichtige und selbstverständliche Grundlage geworden. Schüler stellen sich selbst, in der Gruppe oder nach Beratung mit erfahreneren Schülern ein Lernprogramm zusammen und setzen sich so selbstständig Ziele, die sie in der Regel auch erreichen.

Wenn ich daran denke, wie anstrengend früher die Abfolge von zehn mal 25 Minuten Einzelunterricht war: nicht nur, dass wir uns ständig auf einen neuen Schüler einstellen mussten, haargenau die (bezahlte) Zeit einhalten mussten und letztlich uns auch für die Schülermotivation allein zuständig sahen, nein, auch das Niveau unserer Schüler war eigentlich meist nur vordergründig. Sie waren zwar in der Lage, das mit dem Lehrer mühsam Erarbeitete halbwegs ordentlich vorzutragen - aber selbstständig zu interpretieren, zu improvisieren oder zumindest die Textur der Noten sich allein zu erarbeiten - dazu waren nur wenige Schüler wirklich fähig.

Ich kann unseren deutschen Kolleginnen und Kollegen nur vorschwärmen, wie angenehm für uns Lehrer die neue Rolle als Lenker und Moderator ist. Wir werden in unserer Rolle als Fachleute von den Schülern angesprochen, wenn sie etwas wissen wollen. Und das geschieht oft, da sie ja in den zwei, drei oder gar vier Tagen, die die meisten Schüler in der Musikschule zubringen, unglaublich viel Literatur und interessante Fähigkeiten kennen lernen, die sie selbst beherrschen wollen.
Wie anstrengend war es früher, innerhalb kürzester Zeit möglichst viel Können und Wissen "an" den Schüler vermittelt zu bekommen und dabei auch noch für die Steigerung seiner meist sehr dürftigen Motivation zuständig zu sein...
Wer diese Alternative einmal erfahren hat, der spürt durch die positive Veränderung seiner Arbeitswelt eine solch große Begeisterung, dass es für ihn ein Leichtes ist, die meist nur vordergründig schwierige Problematik des zweiten Raumes zu lösen.

Weiterführend zitiere an dieser Stelle Röbke aus dem Jahre 2002: "Methodische Kompetenz heißt aber auch, in einem zentralen Bereich der Methodik, im Bereich der Sozialformen des Lehrens und Lernens nicht im Schematismus des ausschließlichen Einzelunterrichts stecken zu bleiben - es ist doch völlig klar, dass z.B. das Improvisieren, Singen oder Tanzen in der Gruppe viel leichter fällt. So banal die Feststellung auch ist: Es gibt Ziele und Lerninhalte, bei denen die Umsetzung in der Gruppe viel besser gelingt."

Es ist aus heutiger Sicht sonnenklar, dass nur die völlige Offenheit von Unterrichtsformen diese methodische Flexibilität ermöglicht hat: so sind fast immer genügend Schüler anwesend, wenn es darum geht, mit einer größeren Gruppe z.B. zu solmisieren; Kammermusikgruppen entstehen oft ungeplant und erarbeiten sich vieles durch die Hilfe Älterer selbst; Anfänger haben von Anfang an einen Blick auf das, was sie in ihrer Ausbildung erwartet; jeder Schüler hat trotzdem immer noch die Möglichkeit, eine bestimmte Zeit allein mit der Lehrkraft zu sein.
Und wenn dieser Einzelunterricht nicht gerade von großen Problemen beladen ist, finden sich schnell mehrere Schüler ein, die gespannt dem Unterricht lauschen. Oder aber ein anderer Schüler weiß die passende Lösung zum momentanen Problem und hilft seinem Mitschüler spontan.

Die ersten Kolleginnen und Kollegen klagen fast schon darüber, dass sie sich beim Musiktreiben ihrer Schüler zeitweise regelrecht überflüssig vorkommen - gerade in der Vorweihnachtszeit verlagert sich ihre Tätigkeit manchmal hin zur Organisation von Konzerten, auf denen die Schüler ihr miteinander-Erarbeitetes vorspielen können.
Andererseits erhalten diese Lehrkräfte aber auch Freiräume, um sich mit einigen wenigen Schülern ausführlich auf anstehende Wettbewerbe vorzubereiten.

Röbke hatte dieses schon 2002 im Sinn; ich zitiere: "Musikschularbeit unterscheidet sich von Hochschularbeit nicht nur darin, dass professionelles und flexibles didaktisches Handeln in höherem Ausmaß notwendig ist, sondern auch darin, dass die Aufgabe einer umfassenden Musikalisierung nicht auf viele Fächer verteilt werden kann, sondern in einem integrativen Instrumentalunterricht geleistet werden muss, in einer Weise des Lehrens und Lernens, die über rein instrumentale Unterweisung hinausgehen muss, damit instrumentales Lernen überhaupt stattfinden kann."

Das alles geht natürlich nur, weil die zweite Forderung Wolters' (die nach dem Einheitspreis) nach einem erfolgreichen Pilotprojekt in der Steiermark mehr oder weniger abgewandelt von den anderen Bundesländern übernommen worden ist.
Und nun haben die hier anwesenden deutschen Kolleginnen und Kollegen eine große Chance: denn wir diskutieren hier bereits seit längerer Zeit über den richtigen Weg des Einheitspreises, haben allerdings überall leicht andere Modelle. Wenn Sie aber nun für Ihre jeweilige Musikschule in Deutschland diese Überlegungen anstellen, haben Sie die Möglichkeit, sich das Ihrer Meinung nach beste System auszusuchen.

Ich gehe dabei davon aus, dass Sie es Leid sind, nach einer festen Zeit bezahlt zu werden (also beispielsweise 50 Minuten Einzelunterricht dem verwöhnten Söhnchen des Porsche-Fahrers geben zu müssen, obwohl Sie den Bengel eigentlich nach nur 5 Minuten liebend gern zum Fußball geschickt hätten...).

Zum Thema "Einheitspreis" äußerte sich Röbke im Jahre 2002 übrigens fast schon prophetisch, als er schrieb: "Wenn aber mit den Konten flexibel hantiert wird, wenn mehr Zeit und variable Formen eine vielfältigere pädagogische Arbeit erlauben, dann erreichen wir gleichsam die Quadratur des Kreises: Wir bringen mehr Schüler unter und wir steigern zugleich die Qualität unserer Arbeit!"
Er hat Recht behalten.

Daher zu den drei Modellen, nach denen die österreichischen Musikschulen den Einheitspreis umgesetzt haben:
Die erste Gruppe von Musikschulen lässt alle Schüler gleich zahlen, hat aber z.B. im Fach Klavier einen niedrigeren Schülerschnitt als im Fach Blockflöte. Die Eltern beschweren sich - m.E. zurecht - darüber, dass ihr Kind je nach Instrument eine mehr oder weniger große Klasse des Lehrers zum gleichen Preis vorfindet.

Eine andere Gruppe von Musikschulen lässt zwar auch alle Schüler gleich zahlen, legt aber überall den gleichen Schülerschnitt zugrunde. Diese Schulen mussten in unserem Beispiel zum einen mehrere Klavierlehrer entlassen und dafür einige Blockflötenlehrer anstellen. So ist die ganze Sache zwar gerechter, aber auch nicht allzu praktikabel.

Der von Wolters' in seinem Buch damals noch "utopisch" genannte Vorschlag, je nach Lehrkraft (oder Fachbereich) einen flexiblen Einheitspreis zu erheben, scheint immer mehr Musikschulen ein sinnvoller Weg zu sein: je nach Schülerschnitt der einzelnen Lehrkraft zahlen die Eltern hier einen höheren oder niedrigeren Preis. Das tägliche Handling des Ganzen scheint mir dabei noch das größte Problem zu sein; hier haben wir Diskussionsbedarf. Nach Abschluss unserer Überlegungen werden wir die Ergebnisse für Sie im Internet veröffentlichen.

Geradezu lächerlich wirkt aus heutiger Sicht die dritte Forderung Wolters' nach mindestens zwei UnterrichtsEinheiten pro Schüler und Woche. Und doch dürfen wir nicht vergessen, dass dies unter damaligen Verhältnissen alles andere als leicht war: viele Schüler waren nicht dazu bereit, außer "Dienstags zwischen vier und fünf Uhr" zum Unterricht zu kommen. Auch wollten viele Schüler nicht mehr als ein bis zwei Kilometer zum Unterricht fahren.

Diese Schwierigkeiten sind mit der Veränderung und Erweiterung der Unterrichtsmöglichkeiten fast wie von selbst verschwunden.
Löste es vor 15 Jahren noch ungläubige Heiterkeit aus, als Wolters davon berichtete, dass mehrere seiner Schüler zwischen 50 und 100 KM pro Woche an Fahrstrecke für den Unterricht aufwendeten, so ist dies aus heutiger Sicht mehr als verständlich.
Unsere Schüler kommen nicht mehr nur wegen der Musik; sie freuen sich, mit- und voneinander zu lernen. Sie reden natürlich auch über ihren Alltag, ihre Erlebnisse in der Schule und über ihre ersten Partnerschaften, aber gerade das macht den "Erlebnisraum Musikschule" aus: er steht mitten im Leben der Kinder und Jugendlichen - und durch ihre häufige Präsenz in der Musikschule steht eben auch das praktische Musizieren im Vordergrund.

Wenn ein Schüler heute durchschnittlich 3 mal pro Woche zwischen ein und zwei Stunden in der Musikschule ist, dann ist er um die vier Zeitstunden anwesend. Und wenn er sich hier nur die Hälfte der Zeit mit praktischer Musikausübung beschäftigt, so musiziert, singt und tanzt er drei mal so lang wie in einem 50-minütigen Einzelunterricht früherer Zeit - ganz zu schweigen von der Vielfalt der Möglichkeiten, die nun zur Verfügung stehen:
angefangen vom Einzelunterricht über die Paararbeit, das Lernen in Klein- und Großgruppen bis hin zu unterschiedlichsten Projekten der Klassenarbeit. Und dabei gibt es für jeden Schüler immer wieder eine neue Möglichkeit, sich individuell nach eigenem Können und Wollen in die jeweilige Gruppe einzuklinken - oder auch ganz einfach einmal Pause zu machen.

Rechnen wir noch die Kooperation mit der allgemein bildenden Schule hinzu, die Projekte mit Musikvereinen und die Integration der Musikschule in die Ganztagsschule, so ist Musik Lernen und Musik Machen im gesamten gesellschaftlichen Kontext etwas ganz Natürliches geworden. Und es ist ganz natürlich, dass es sowohl die einfache Musikausübung als auch die künstlerische Arbeit auf höchstem Niveau gibt.
Es ist mittlerweile bei Nachwuchs-Wettbewerben fast schon zu hören, dass es immer weniger ein Gegeneinander, sondern immer mehr ein Miteinander geworden ist - oder wenn Sie so wollen: Musik ist zu Kommunikation geworden.

Hier haben wir das Idealbild eines großen Dirigenten und Komponisten des vergangenen Jahrhunderts, des von mir hoch verehrten Lenny Bernstein, in die tägliche Praxis weiter Teile eines ganzen Volkes umgesetzt: Musik ist Kommunikation!

Absolut positiv hat sich unser Musikschul-System auch auf die Arbeit mit Erwachsenen ausgewirkt: waren sie früher manchmal bestenfalls nur Auffüller des Stundenplans und ihre Art zu lernen irgendwie "exotisch", so sind sie heute nicht mehr wegzudenkende Mit-Lernende im Unterrichtssystem.

Sie lernen sicherlich anders als früher; ich behaupte, sie lernen besser. Warum? Auch sie lernen von den Kindern, von deren Unbekümmertheit, mit neuen Situationen (wie z.B. Konzerten) oder ungewohnten technischen Anforderungen umzugehen. Und sie sind andererseits ein Vorbild, wenn es vor einem wichtigen Konzert unter den Schülern oft allzu salopp hergeht. Ohne ihr Mittun bei den Jüngsten und ihre Koordination im Unterrichtsgeschehen hätten viele Kolleginnen und Kollegen sicherlich nicht in solch kurzer Zeit eine solch hohe organisatorische Kompetenz erlangt.

Hinzu kommen diejenigen Erwachsenen, die politisch engagiert sind und die Musikschule beim eigenen Tun, also quasi am eigenen Leib erleben: ihre Fürsprache in allen wichtigen gesellschaftlichen Gremien ist in Zeiten knapper ökonomischer und ökologischer Rahmenbedingungen nicht hoch genug einzuschätzen.

Vielleicht fragen sich nun viele deutsche Kolleginnen und Kollegen, warum ich nicht konkreter geworden bin und Ihnen detailliert berichtet habe, in welchen Schritten und Formen Sie am besten beginnen sollten und wie Sie mögliche Probleme am geschicktesten lösen können. Abgesehen davon, dass dies in 30 Minuten auch nicht ansatzweise umsetzbar ist (man bedenke, dass sich Wolters in Freiburg mit seinem Pilot-Team ein ganzes Jahr lang ein mal pro Woche traf und dabei gerade mal die Grundsätze herausarbeiten konnte), so hat sich in unserer Herangehensweise an etwas Neues auch leider nicht viel verändert: es muss leicht verständlich, schnell umsetzbar und unproblematisch für Schüler, Eltern und Lehrer sein.

Aber das, was an methodischem, organisatorischem und inhaltlichem KnowHow beherrscht werden muss, um so unterrichten zu können, ist nicht in einem Vortrag oder in einem Fort- und Weiterbildungs-Tag zu erlernen.

Warum dies so ist, möchte ich Ihnen zum besseren Verständnis an einem Beispiel aus der Musik verdeutlichen:
Stellen Sie sich vor, Sie spielen ein großes Klavier-Konzert. Anschließend kommt jemand zu Ihnen in die Garderobe, der Sie bittet, gegen ein gutes Honorar ihm dieses Stück in einer halben Stunde - oder meinetwegen auch in einem ganzen Tag - beizubringen. Sie würden dies natürlich entrüstet ablehnen. Sie könnten aber andererseits zumindest einen Weg aufzeigen, wie derjenige beginnen kann.
Und nichts anderes hat Wolters auch in seinem Referat vor 15 Jahren getan. Es dauerte zwar noch ein paar Jahre, bis zum einen die ersten fassbaren Resultate anderer Schulen vorlagen und auch die Freiburger Musikschule zur Beispiel-Einrichtung geworden war. Lehrkräfte, die sich diesen Unterricht anschauten, merkten, welch große und anspruchsvolle Kompetenz des Lehrens sich hinter dieser Unterrichtsform verbirgt.

Auch aus diesem Grund beginnt das Studium der Instrumentalpädagogik an den österreichischen Hochschulen und Universitäten mittlerweile auch mit dem Grundstudium eines weiterentwickelten "MultiDimensionalen InstrumentalUnterrichts
®". Hiernach teilt sich dann das Studium je nach instrumentenspezifischen Aspekten auf.

Sie sehen, Flexibler Instrumentalunterricht ist nicht zum Diskount-Preis zu erlernen oder gar umzusetzen. Es lohnt sich aber, sich auf eine Entdeckungsreise auf diesen Weg zu begeben.

Es gibt eine Menge Ideen, wie Sie - je nach eigenem Können und Wollen - leicht beginnen können - genau so, wie Sie demjenigen, der Ihr tolles Klavierkonzert lernen will, auch die ersten musikalischen Gehversuche am Instrument zeigen können.
Übrigens: Viele Dinge Ihrer gewohnten Didaktik können Sie weiterhin nutzen - Sie werden es in der täglichen Praxis merken. In einer Wechselwirkung entwickeln Sie sich in der täglichen Praxis sowohl methodisch als auch didaktisch weiter; vorausgesetzt, Sie sind offen für den Austausch mit anderen Kollegen, die genauso wie Sie auf dem Wege sind.

Es gibt mittlerweile viele Lehrkräfte, die sich miteinander - quasi wie Schüler ohne Lehrer - das notwendige Können und Wissen angeeignet haben und Ihnen mit Rat und Tat im nächsten Jahr 2018 für Rückfragen und Weiterbildungen zur Verfügung stehen werden.

Uns hier in Österreich hat diese Vision vor 15 Jahren absolut fasziniert. Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland die Praxis dieses Konzeptes an unseren österreichischen Musikschulen überzeugt (eines Modells, das seinen Ursprung ja bei Ihnen in Borken und Freiburg hatte), dann steht der Weiterentwicklung auch Ihrer Musikschulen nichts mehr im Wege.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.